Nicht wenige bereits zu den Akten gelegte Fälle konnten durch eine neue Auswertung mithilfe des „genetischen Fingerabdrucks“ gelöst werden. Sichergestellte DNA hilft aber nur so weit, wie Vergleichsmaterial zur Verfügung steht. Das Problem: Die Staatsanwaltschaften haben ein Interesse an einer möglichst großen Datenbank, mit der sie Spuren abgleichen können. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 2349/15) zeigt, dass manche Gerichte die Entnahme von DNA zu leichtfertig annehmen – und damit möglicherweise die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzen.
Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung
Bei schweren Straftaten können die Gerichte und in Eilfällen auch Staatsanwaltschaft und Polizei nach § 81g der Strafprozessordnung (StPO) anordnen, dass von einem Beschuldigten in einem Strafverfahren oder einem Verurteilten Körperzellen entnommen und molekulargenetisch untersucht werden. Falls der Betroffene eine weitere Straftat begeht haben es die Ermittler dann leichter, ihn zu identifizieren. Die rechtlichen Anforderungen für eine solche Maßnahme sind vergleichsweise hoch, weil die Auswertung des Erbguts einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellt. Schließlich wird sein einmaliges Erbgut sequenziert und gespeichert. Die Gerichte müssen deshalb eingehend begründen, warum die DNA-Identifizierung im konkreten Einzelfall erforderlich ist.
Im vom BVerfG entschiedenen Verfahren ordnete das Amtsgericht Augsburg die DNA-Identifizierung eines wegen gefährlicher Körperverletzung rechtskräftig Verurteilten an. Das Amtsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Tat des Verurteilten „von einem hohen Maß an Brutalität und Gewaltbereitschaft des Betroffenen“ zeuge und wegen dieser erheblichen Gewaltbereitschaft Grund zu der Annahme bestehe, dass gegen den Beschwerdeführer auch künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein würden. Nachdem die Beschwerde des Betroffenen beim Landgericht Augsburg erfolglos war, legte er Verfassungsbeschwerde ein und beantragte, die Vollziehung der Gerichtsbeschlüsse auszusetzen.
Pauschale Begründung nicht ausreichend
Das BVerfG hat dem entsprochen und eine einstweilige Anordnung erlassen. Da die Gerichte
„die Negativprognose lediglich aus der pauschalen Feststellung, der Beschwerdeführer sei erheblich gewaltbereit, herleiten und eine einzelfallbezogene Abwägung der für die Entscheidung bedeutsamen Umstände – insbesondere dass der Beschwerdeführer keine Vorstrafen aufweist und die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde – nicht erkennbar ist, kann der Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht von vornherein die Erfolgsaussicht abgesprochen werden.“
Amts- und Landgericht hätten sich also eingehender mit dem Betroffenen und seiner Persönlichkeit auseinandersetzen müssen. Die Begehung einer einzelnen Tat reicht ohne die Erörterung weiterer Umstände nicht aus.
Interesse an DNA-Entnahme nachrangig
Begrüßenswert ist, dass nach Auffassung des BVerfG auch eine spätere Löschung des DNA-Materials und der Untersuchungsergebnisse den Eingriff in die Rechte des Betroffenen nicht rückgängig macht. Gegenüber diesem „zumindest teilweise irreparrablen Rechtsverlust“ wiege das Interesse an einer Vollziehung der DNA-Entnahme weniger schwer. Die Entscheidung zeigt, dass es sich lohnen kann, die Anordnung einer DNA-Identitätsfeststellung genau auf ihre Plausibilität und Vollständigkeit zu überprüfen.
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