Einstweilige Verfügung gegen Presse ohne Anhörung?

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Gerichte einstweilige Verfügungen in Pressesachen nicht ohne Anhörung des betroffenen Mediums erlassen dürfen. Auch wenn in derartigen Verfahren eine schnelle Entscheidung unverzichtbar ist, bestehe „regelmäßig“ kein Grund, das betroffene Medium vorab von dem Antrag in Kenntnis zu setzen (BVerfG, Beschluss vom 30. September 2018 – 1 BvR 1783/17).

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Eilbedürftigkeit vs. „prozessuale Waffengleichheit“

Bislang war es verbreitet, dass einstweilige Verfügungen ohne Kenntnis und damit für den Beklagten überraschend ergehen. Dem setzen die Verfassungsrichter die „prozessuale Waffengleichheit“ entgegen. Die Gerichte dürfen zwar in besonders eiligen Fällen auf eine mündliche Verhandlung verzichten, sie müssen aber die Presse über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung informieren:

Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung berechtigt demgegenüber aber nicht ohne weiteres dazu, die Gegenseite bis zur Entscheidung über den Verfügungsantrag generell aus dem Verfahren herauszuhalten.

Dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit genügen die Erwiderungsmöglichkeiten auf eine Abmahnung nach Auffassung der Karlsruher Richter nur dann, wenn das Medium außergerichtlich eine ausreichende Möglichkeit hatte, sich zu dem Antragsbegehren zu äußern. Das ist nur der Fall, wenn der Verfügungsantrag

  1. in Anschluss an die Abmahnung unverzüglich nach Ablauf einer angemessenen Frist für die begehrte Unterlassungserklärung bei Gericht eingereicht wird,
  2. die abgemahnte Äußerung sowie die Begründung für die begehrte Unterlassung mit dem bei Gericht geltend gemachten Unterlassungsbegehren identisch sind und
  3. der Antragsteller ein etwaiges Zurückweisungsschreiben des Antragsgegners zusammen mit seiner Antragsschrift bei Gericht eingereicht hat.

Bei gerichtlichem Hinweis muss angehört werden

Das Gericht geht auch auf die in der Praxis häufig anzutreffende Problematik ein, dass das Gericht dem Antragsteller rechtliche Hinweise erteilt, von denen der Antragsgegner häufig erst im Nachhinein erfährt. Auch derartige „Hilfestellungen“ führen dazu, dass das Medium im Verfahren anzuhören ist:

Gehör ist auch zu gewähren, wenn das Gericht dem Antragsteller Hinweise nach § 139 ZPO erteilt, von denen die Gegenseite sonst nicht oder erst nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung erfährt (vgl. dazu Teplitzky, GRUR 2008, 34 <35 ff.>). Hinweise müssen, insbesondere sofern sie mündlich oder fernmündlich erteilt werden, vollständig dokumentiert werden, so dass sich nachvollziehbar aus den Akten ergibt, wer wann wem gegenüber welchen Hinweis gegeben hat. Entsprechend ist es verfassungsrechtlich geboten, den jeweiligen Gegner vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie den Antragsteller, indem auch ihm die richterlichen Hinweise zeitnah mitgeteilt werden.

Bemerkenswert ist, dass das Bundesverfassungsgericht eine Anhörung auch für erforderlich erachtet, wenn der Antrag nach Erteilung von Hinweisen abgelehnt wird.

Soweit Hinweise erteilt werden, ist der Gegenseite dies in Blick auf die Nutzung dieser Hinweise in diesem oder auch in anderen gegen den Antragsgegner gerichteten Verfahren auch im Falle der Ablehnung eines Antrags unverzüglich mitzuteilen. Ein einseitiges Geheimverfahren über einen mehrwöchigen Zeitraum, in dem sich Gericht und Antragsteller über Rechtsfragen austauschen, ohne den Antragsgegner in irgendeiner Form einzubeziehen, ist mit den Verfahrensgrundsätzen des Grundgesetzes jedenfalls unvereinbar.

Diese Rechtsprechung dürfte sich auch auf Verfahren abseits des Presserechts auswirken. Denn das Bundesverfassungsgericht benennt letztlich allgemeine Grundsätze, die sich auch auf andere Rechtsmaterien übertragen lassen, beispielsweise auf das Wettbewerbsrecht. Zwar muss nicht in jedem Falle eine Anhörung erfolgen, die Gerichte werden aber genau zu prüfen haben, ob eine außergerichtliche Korrespondenz den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die „prozessuale Waffengleichheit“ genügt.

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