Verdachtsberichterstattung 🕵️ Wann ist sie erlaubt und wo drohen rechtliche Risiken?

Darf man über einen bloßen Verdacht öffentlich berichten – und wenn ja, wie weit darf man dabei gehen? Ob im Journalismus, auf Social Media oder im privaten Blog: Wer sich mit Verdachtsmomenten an die Öffentlichkeit wagt, betritt rechtliches Minenfeld. Dieser Beitrag zeigt, was erlaubt ist und wann Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Was ist das Problem bei Verdachtsberichterstattung?

Journalist:innen und Blogs dürfen über öffentlich bedeutsame Themen berichten, auch wenn diese für die Betroffenen nachteilig sind. Allerdings dürfen sie keine Unwahrheiten verbreiten. Was aber, wenn unklar ist, was sich tatsächlich zugetragen hat? Stellt sich im Nachhinein nämlich heraus, dass an dem öffentlich geäußerten Verdacht nichts dran ist, hat der Betroffene trotzdem den Schaden.

Um die Rechte der Betroffenen zu schützen und zugleich die Pressefreiheit zu gewährleisten, müssen Medien bei Verdachtsmomenten (z.B. in Bezug auf Straftaten) besonders sorgfältig recherchieren.

Der Bundesgerichtshof hat dafür vier Kriterien formuliert:

  1. Es muss ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung vorliegen.
  2. Vorliegen muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen.
  3. Eine Vorverurteilung der Betroffenen ist unzulässig.
  4. Die Recherche muss sorgfältig sein, erforderlich ist in der Regel, dem Betroffenen eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Journalist:innen sind daher gut beraten, wenn sie sich immer wieder bewusst machen, welchen rechtlichen Standards ihre Veröffentlichungen genügen müssen.

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„Fragen zur Verdachtsberichterstattung? Wir unterstützen Sie mit unserer Erfahrung im Presserecht.“


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Öffentliches Interesse an der Berichterstattung

Eine Berichterstattung über Umstände, deren Wahrheitsgehalt noch nicht abschließend geklärt ist, erfordert ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Es muss sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Die Presse kann in diesem Fall nach § 193 StGB ein „berechtigtes Interesse“ für die Berichterstattung anführen, das gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen überwiegen kann.

Dieses öffentliche Interesse, über einen Verdacht informiert zu werden, kann sich ergeben aus der Person des Betroffenen (z.B. bei Politikern, Prominenten, hochrangigen Beamten, Unternehmensfunktionären, …) oder der Schwere des Falles (z.B. bei Verbrechen, hohem Schaden, Vielzahl von Geschädigten, …).

Mindestbestand an Beweistatsachen

Vor einer öffentlichen Äußerung eines Verdachts steht eine sorgfältige Recherche. Es braucht einen Mindestbestand an Beweistatsachen.

  • Welche Anhaltspunkte begründen den Verdacht?
    Zeugenaussagen, Dokumente, …?
  • Was spricht dagegen, dass diese Anhaltspunkte zutreffen?
    Sind Angaben plausibel? Können sie durch eine weitere Quelle oder auf andere Weise verifiziert werden? Gibt es Belastungstendenzen oder andere Gründe für unzutreffende Angaben?
  • Sind alle Angaben sachlich richtig dargestellt?
    Überprüfen Sie, ob im fertigen Beitrag die Angaben ihrem Wortlaut nach wie auch im Kontext richtig wiedergegeben und ggf. als Zitate gekennzeichnet sind.

Einleitung von Ermittlungsverfahren nicht ausreichend

Wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ist in der Regel nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Angesichts des mit der Berichterstattung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre sind die Medien, so der Bundesgerichtshof, „in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet“ (BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241/20). Es genügt nicht, dass Ermittlungen geführt werden, die Medien müssen vielmehr selbst recherchieren, ob der Verdacht (wahrscheinlich) zutreffend ist.

Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten und sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. Je schwerwiegender der Verdacht ist, desto höhere Anforderungen sind an die Sorgfaltspflicht zu stellen.

Anhörung vor der Veröffentlichung

Der Betroffene muss die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Damit er seine Version schildern kann, muss eine Frist für eine Rückmeldung angegeben werden, die ausreichend bemessen ist. Unternehmen werden in der Regel binnen weniger Stunden reagieren können, bei Privatpersonen sind eher mehrere Tage anzusetzen.

Der Vorwurf, über den berichtet werden soll, ist so detailliert zu benennen, dass der Betroffene weiß, worum es geht. Dabei sollten Journalisten in Form von Fragen vorgehen und nicht den Inhalt der geplanten Veröffentlichung bekannt geben. Die Recherche soll die Stellungnahme des Betroffenen einbeziehen, daher sollte unbedingt der Eindruck vermieden werden, die Recherche sei bereits abgeschlossen. Zu vermeiden sind daher Formulierungen wie: „Wir werden berichten, dass…“. Besser: „Wir recherchieren derzeit zu…“.

Nach der Anhörung ist eine Stellungnahme in die Berichterstattung aufzunehmen. Ist eine Stellungnahme nicht eingegangen oder wurde sie abgelehnt, sollte dies so Erwähnung finden.

Keine Vorverurteilung

Ein Beitrag über einen Verdacht darf den Betroffenen nicht vorverurteilen. Vor allem Überschrift und Anreißer müssen erkennen lassen, dass nicht über sicheres Wissen berichtet wird.

Beispiel für eine Vorverurteilung: „Brutaler U-Bahn-Schläger ist sich keiner Schuld bewusst“

Neben belastenden Angaben sind auch entlastende Tatsachen in der Veröffentlichung zu berücksichtigen. Der Leser soll sich selbst ein Bild machen können, was an den Vorwürfen dran ist.

Nicht zwingend erforderlich, aber sicherlich empfehlenswert ist es, vor allem bei Strafverfahren, nochmal explizit darauf hinzuweisen, dass es sich (nur) um einen Verdacht handelt und die Unschuldsvermutung gilt.

An eine identifizierende Berichterstattung sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Sie ist nur in Ausnahmefällen zulässig, nämlich nur, wenn es um Fälle erheblicher Kriminalität geht oder der Betroffene selbst im Licht der Öffentlichkeit steht. Im Zweifelsfall sollte auf eine Nennung des Namens oder die Nutzung eines nicht anonymisierten Bildes verzichtet werden. Bei Jugendlichen hat eine identifizierende Berichterstattung stets zu unterbleiben.

Checkliste: Verdachtsberichterstattung

  • Liegt ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung vor?
  • Ist ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorhanden?
  • Wurden Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft?
  • Werden die Verdachtsmomente inhaltlich korrekt und im richtigen Kontext dargestellt?
  • Wurde der Betroffene vor der Veröffentlichung angehört und hatte er eine Gelegenheit zur Stellungnahme?
  • Enthält der Artikel eine Angabe dazu, wie der Betroffene auf die Anhörung reagiert hat?
  • Wird die Unschuldsvermutung des Betroffenen gewahrt und ist der Artikel nicht vorverurteilend?
  • Welche entlastenden Tatsachen sind belastenden Angaben entgegenzustellen?
  • Ist der Betroffene nicht identifizierbar bzw. liegen die Voraussetzungen für eine identifizierende Berichterstattung vor?
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Eine Antwort

  1. Avatar von Grenzen bei Berichten auf Verdacht – M – Menschen Machen Medien (ver.di)
    Grenzen bei Berichten auf Verdacht – M – Menschen Machen Medien (ver.di)

    […] Rechtsprechung hat vier Kriterien (Checkliste) entwickelt, an denen eine Verdachtsberichterstattung zu messen […]