Gerade wenn Anbieter nicht nur eine Plattform bereitstellen, sondern selbst Waren und Dienstleistungen bereitstellen, wird es kritisch. Denn es besteht die Gefahr, dass Einzelne ihre Marktmacht ausnutzen.
- 1. Wettbewerbshüter von Amts wegen
- 2. Die Mission: Fairen Wettbewerb durchsetzen
- 3. Marktübergreifende Marktmacht bei Alphabet/Google
- 4. Abgrenzung von digitalen Märkten
- 5. Marktmacht? Wir doch nicht…
- 6. Unentgeltliche Dienstleistungen
- 7. Marktmachtausbau durch illegale Praktiken
- 8. Kartellrecht betrifft jede:n
Wettbewerbshüter von Amts wegen
Das Kartellrecht wurde geschaffen, um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Würden sich die Märkte unreguliert „frei“ entfalten, würden kleine und mittlere Unternehmen benachteiligt und nicht mehr existent sein. Es würde das „Recht des Stärkeren“ gelten und die Unternehmenslandschaft wäre wenig divers. Kleine Anbieter:innen würden keine Chance haben, sich zu etablieren, wenn die Großen den Markt unter sich aufteilen.
Es ist also wichtig, dass es ein Mindestmaß an vielfältigem Angebot für Verbraucher:innen gibt, da das Angebot und die Nachfrage durch die Konsument:innen den Preis bestimmt. Wo es nicht viel Angebot auf dem Markt gibt, können wenige Unternehmen praktisch den Preis selbst bestimmen. Deshalb ist ein ausgewogener Wettbewerb von großer Bedeutung. Die Behörde, die kontrolliert, dass dieser Wettbewerb funktioniert, ist das Bundeskartellamt (BKartA).
Die Mission: Fairen Wettbewerb durchsetzen
Das Bundeskartellamt kontrolliert und ergreift Maßnahmen gegen Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen und beispielsweise Preisabsprachen treffen. Wenn Unternehmen absprechen, dass sie für das gleiche Produkt für einen bestimmten Preis anbieten, dann ist das immer nachteilig für den:die Konsument:in und andere Unternehmen auf dem gleichen Markt. Diese müssen mehr für das Produkt an Geld ausgeben und andere Unternehmen müssen zwangsläufig den gleichen Preis verlangen, da sonst die Nachfrage für ihr teureres Produkt sinkt.
Man sagt „Konkurrenz belebt das Geschäft“ und genau so ist es. Je mehr Unternehmen auf dem Markt in Konkurrenz stehen, desto mehr Wettbewerb gibt es zwischen den Unternehmen, denn jedes Unternehmen möchte seine Produkte für den besten Preis verkaufen. Manchmal ist der beste Preis der günstigste. Dies ist jedoch immer von der Preisstrategie des Unternehmens abhängig.
Wenn also ein Unternehmen auf einem Markt alleine Produkte anbietet oder nur mit sehr wenigen Konkurren:innen, dann hat dieses Unternehmen Marktmacht. Sobald eine solche herrschende Marktmacht besteht wird das BKartA aufmerksam und schaut, ob sie eingreifen müssen und ob dieses Unternehmen diese Marktmacht gegenüber anderen Unternehmen oder Verbraucher:innen ausnutzt.
Marktübergreifende Marktmacht bei Alphabet/Google
Eine Pressemitteilung des Bundeskartellamtes schlug in der letzten Zeit große Wellen: Bundeskartellamt stellt marktübergreifende Marktmacht bei Alphabet/Google fest.
Grundlage hierfür ist die GWB-Novelle, genauer der § 19a GWB. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) regelt mit der neuen Norm das missbräuchliche Verhalten von Unternehmen, die nicht nur Marktmacht besitzen und diese missbräuchlich benutzen, sondern eröffnet eine neue Kategorie mit der „überragenden marktübergreifenden Marktmacht“.
Diese neue Kategorisierung eröffnet dem BKartA neue Instrumente für die Regulierung, womit sie noch intensiver das wettbewerbliche Handeln von Google kontrollieren können. Das BKartA rechnet Google einen Marktanteil von 80 % auf dem allgemeinen Suchdienstmarkt an.
Lange Zeit hatte sich der Konzern gewunden und versucht, eine Kategorisierung als „marktbeherrschend“ zu verhindern. Immer wieder argumentierte der Konzern damit, dass zunächst keine Marktbeherrschung vorläge und der vermeintliche Missbrauch nicht auf den Märkten stattfinde, wo Google marktbeherrschend sei. Ferner läge keine entgeltliche Leistung in der Google-Suchfunktion im Sinne des § 19 II GWB vor.
Das Bundeskartellamt kann durch Verfügung feststellen, dass einem Unternehmen, das in erheblichem Umfang auf Märkten im Sinne des § 18 Absatz 3a tätig ist, eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Bei der Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. seine marktbeherrschende Stellung auf einem oder mehreren Märkten,
2. seine Finanzkraft oder sein Zugang zu sonstigen Ressourcen,
3. seine vertikale Integration und seine Tätigkeit auf in sonstiger Weise miteinander verbundenen Märkten,
4. sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten,
5. die Bedeutung seiner Tätigkeit für den Zugang Dritter zu Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie sein damit verbundener Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter.
§ 19a BKartG
Abgrenzung von digitalen Märkten
Grund für die Novellierung sind die zahlreichen kartellrechtlichen Verfahren gegen Alphabet/Google in der Vergangenheit. Die digitalen Märkte stellten die Kartellbehörden vor besondere Herausforderungen. Denn während bei „analogen“ Märkten der räumliche Markt meist durch Ländergrenzen getrennt werdenkann, ist dies im digitalen Bereich nicht möglich, da das Internet über die Ländergrenzen hinaus geht. Das alte GWB war hierauf nicht vorbereitet und stellte das BKartA daher vor juristische kaum überwindbare Schwierigkeiten.
Eine Aufgabe des Bundeskartellamts ist es, die großen Konzerne mit ihrer Marktmacht zu kategorisieren und im Anschluss den Missbrauch der Marktmacht von einzelnen oder mehreren Unternehmen zu unterbinden, § 19 GWB. Missbrauch der Marktmacht liegt vor, wenn unangemessene Ein- und Verkaufspreise oder sonstige Geschäftsbedingungen (Ausbeutungsmissbrauch), die gezielte Unterbietung von Preisen (Behinderungsmissbrauch) oder die Verweigerung des Zugangs zu Infrastruktureinrichtungen (Strukturmissbrauch) gegeben sind. Marktbeherrschung liegt wiederum vor, wenn das Unternehmen auf dem relevanten Markt ohne Wettbewerber ist, keinen wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerber:innen überragende Marktstellung hat, § 18 GWB.
Marktmacht? Wir doch nicht…
Die Marktmacht lässt sich jedoch nur gem. § 18 GWB bestimmen, wenn der Markt, auf dem der Konzern tätig ist, genau bestimmt werden kann und abgrenzbar ist. Auf analogen Absatz- oder Nachfragemärkten werden diese in räumliche und sachlich relevante Märkte unterschieden. Auf digitalen Märkten vermischen sich diese Indikatoren jedoch. Sie greifen vielmehr ineinander und sind vor allem räumlich auf der ganzen Welt verfügbar, somit nicht klar abgrenzbar.
Besonders typisch für digitale Märkte sind die mehrseitigen Märkte und Netzwerkeffekte. Mehrseitige digitale Märkte werden auch Plattformen genannt. Auf ihnen sind sog. Netzwerkeffekte besonders häufig gegeben, aber nicht ausschließlich. Netzwerkeffekt beschreibt das Phänomen, dass sich der Nutzen, den Konsument:innen aus einem Produkt erhalten, mit der Anzahl der Konsument:innen desselben oder eines anderweitig verknüpften Produktes verändert.
Nehmen wir beispielsweise Facebook: Je mehr Nutzer:innen Facebook hat, umso attraktiver ist Facebook-Werbung für die Unternehmen. Zugleich führt diese Attraktivität zu mehr Nutzer:innen und diese wiederum zu mehr Werbeumsatz. Diese Verknüpfung und Betrachtung der mehrseitigen Märkte mit ihren Netzwerkeffekten machten es dem BKartA schwer herauszufinden, wie groß die Marktmacht von Google oder Facebook wirklich ist.
Unentgeltliche Dienstleistungen
Der Fall „Google“ stellt die Kartellbehörden auch vor besondere Herausforderungen, da Google Leistungen vermeintlich kostenlos anbietet. Damit der Tatbestand der Marktbeherrschung vorliegt, schreibt § 18 Abs. 1 GWB eine entgeltliche Leistung vor. Das ist bei der Google-Suche nicht der Fall. Sie ist kostenlos, als Nutzer:in „zahlt“ man mit seinen Daten.
Es gibt zwar Leistungen, die Unternehmen entgeltlich in Anspruch nehmen, wie bezahlte Suchmaschinenwerbung. Ein Missbrauch der Marktmacht meist auf dem unentgeltlichen Drittmarkt, wo die Daten von Nutzer:innen gesammelt werden. Denn sie sind die Grundlage für das Geschäftsmodell. Um diese Regelungslücke zu schließen, wurde der Anwendungsbereich auch in § 18 Abs. 2a GWB erweitert, damit die Unentgeltlichkeit der Leistung, d.h. Missbrauch von Daten, mit einzubeziehen. Denn auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Währung auf digitalen Märkten die Daten der Nutzer:innen sind.
Marktmachtausbau durch illegale Praktiken
In der Entscheidung Google/Android baute Google seine Marktmacht aus, indem es Herstellern von Android-Geräten und Betreibern von Mobilfunknetzen seit 2011 rechtswidrige Einschränkungen auferlegt hatte. Google bot Android seine Dienste und Apps im Bündel an und aufgrund der Lizenzierungsbedingungen von Google konnte Android bestimmte Apps nicht auf seinen Geräten vorinstallieren, ohne auch andere Apps vorzuinstallieren. Weil die Google-Dienste vorinstalliert waren, hatten Hersteller weniger Anreize, konkurrierende Suchmaschinen-Apps auf ihren Geräten anzubieten. Ferner setzte die bestehende Marktmacht von Google die Hersteller unter Druck, sodass diese den Lizenzierungsbedingungen von Google zustimmten. Diese Behinderung des Vertriebswegs konkurrierender Android-Systeme, die illegale Kopplung, sowie auch die Beschränkung von Entwicklung der frei verfügbaren Quellcodes von Android-Versionen führten darüber hinaus zu einer geringeren Auswahl an Betriebssystemen, Browsern und Suchmaschinen für Verbraucher:innen.
Kartellrecht betrifft jede:n
Der Google-Shopping-Fall führte 2009 der Europäischen Kommission vor, dass das europäische Kartellrecht bei Google an seine Grenzen gerät. Google hatte damals mit seinem Dienst Google-Shopping seine eigenen Dienste priorisiert in der Auflistungsreihenfolge und andere Preisvergleichsdienste erst zum Teil auf Seite 2 angezeigt. Google-Shopping ist eine Kategorie in der Suchmaschine, mit der Nutzer:innen Angebote filtern können.
Damals reichten konkurrierende Unternehmen von Google (Preisvergleichsdienste) Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein und legten dar, dass die wenigsten Nutzer:innen (nur 1 %!) auf die zweite Seite der Suchmaschine klicken würden. Diese Praktik benachteilige sie und Google selbst könnte hierdurch seine Marktmacht ausbauen. Google kassierte eine der höchsten Strafen im Kartellverfahren: 2,4 Milliarden Euro Bußgeld.
Hier zeigt sich, dass das Kartellrecht nicht nur die Kartellbehörden und das marktmächtige Unternehmen betrifft, sondern auch kleine Händler:innen, Verbraucher:innen oder Konkurrent:innen. Im Falle von Verstößen gegen das Kartellrecht können sogar Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Seit 2014 hat die Europäische Kommission eine Richtlinie (2014/104/EU) erlassen, um Schadensersatzklagen gegen Konzerne, die sich kartellrechtswidrig verhalten haben, im nationalen Recht besser durchsetzen zu können. Voraussetzung hierfür ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und einer Zuwiderhandlung des Konzerns gegen Wettbewerbsvorschriften. Der Anwendungsbereich wird weit gefasst, um Geschädigten ausreichenden Rechtsschutz zu ermöglichen.
Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen hat sich noch einmal durch die GWB-Novelle verbessert, da damit nicht nur Beweiserleichterungen durch die Bindungswirkung der kartellrechtlichen Entscheidungen einhergehen, sondern Google auch unter besonderer Beobachtung durch das BKart steht aufgrund der neuen Kategorisierung als „überragende Marktübergreifende Marktmacht“.
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