Ein Händler legt sich mit Amazon an

Viele Händler:innen vertreiben ihre Waren fast ausschließlich über die Plattform Amazon. Solange keine Komplikationen entstehen, scheint dies eine lukrativ. Sobald der Handelsriese jedoch das Händlerkonto aufgrund von (vermeintlichen) Beschwerden sperrt, ist auf einmal die Existenz bedroht. Aber Händler:innen können sich zur Wehr setzen.

Landgericht Hannover: Kontosperrung rechtswidrig

Am 22.07.2021 entschied das Landgericht Hannover (Az. 25 O 221/21) im einstweiligen Rechtsschutz, dass Amazon ein Händlerkonto bis zur Entscheidung in der Hauptsache wieder entsperren muss und die Waren des Händlers nicht vernichten darf. Ein solcher Anspruch auf Rückgängigmachung der Sperrung leitet sich aus §§ 33 Abs. 1 Alternative 2, 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, §§ 3, 3a, 12 Abs. 2 UWG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertriebsvertrag ab.

Worum geht es in der Entscheidung?

Diese vorläufige Entscheidung ist möglich, da das Landgericht eine marktbeherrschende Macht bei Amazon und einen Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB annimmt. Amazon soll durch die Kontosperrung des Händlers unmittelbar, unbillig diesen behindert haben und seine marktbeherrschende Macht missbräuchlich ausgenutzt haben. Bisher hatten weder das Bundeskartellamt noch die Europäische Kommission eine solche marktbeherrschende Stellung bei Amazon angenommen.

Eine marktbeherrschende Stellung liegt vor, wenn das Unternehmen auf einem sachlich und räumlich relevanten Markt ohne Wettbewerber oder keinem wesentlichen Wettbewerber oder eine überragende Marktstellung besitzt, § 18 GWB

Amazon hat als Verkaufsplattform eine durchaus große Stellung. Potenzielle Mitbewerber könnten alle Plattformen sein, die Waren von Dritten anbieten. Ebay kommt hier in Betracht, jedoch werden dort im Gegensatz zu Amazon auch gebrauchte Artikel angeboten. Daher erscheint es möglich, dass Ebay nicht als Mitbewerber gezählt wird. Jedoch zweifelsohne sind Mitbewerber auf dem sog. sachlich relevanten Markt Unternehmen wie Alibaba oder Etsy.

Marktbeherrschende Stellung von Amazon

Danach stellt sich die Frage, ob Alibaba auch räumlich relevant auf dem gleichen Markt wie Amazon veräußert. Alibaba ist auf dem deutschen Markt wenig bis gar nicht bekannt und aktiv. Das Unternehmen setzt seinen räumlichen Schwerpunkt auf dem asiatischen Markt. Eine genaue Abgrenzung der Märkte ist auf digitalen Märkten schwer. Das Internet endet nicht an den Landesgrenzen. Jedoch teilt das Bundeskartellamt die Absatzmärkte räumlich nach Landes- bzw. die Europäische Kommission nach europäischen Grenzen ein. Ein deutsches Gerichtes schaut nur bis zur Staatsgrenze und bezieht den räumlichen Markt entsprechend auf Deutschland.

In dem räumlich und sachlich relevanten Markt würde Amazon neben Etsy zweifelsohne herausstechen. Ob das für eine „überragende Stellung“ oder „ohne wesentliche Mitbewerber“ reicht, wird voraussichtlich in der Hauptsache entschieden werden.

Ausnutzung der Marktmacht durch Sperrung

Das Landgericht hat eine Ausnutzung dieser Marktmacht in der Sperrung, also Hinderung am Weiterverkauf auf der Plattform, gesehen. Amazon sei verpflichtet gewesen seine Begründung für die Sperrung des Händlerkontos hinreichend darzulegen. Diese Anforderungen an Amazon folgen aus Art. 4 VO (EU) 2019/1051, welcher Einschränkungen, Aussetzungen oder Beendigungen einer Geschäftsbeziehung seitens eines Online-Vermittlungsdienstes im Sinne von Art. 1 Abs. 2, 2 Nr. 2 der VO regelt. Diese Anforderungen habe Amazon nicht erfüllt. Vielmehr habe Amazon pauschale Angaben, wie allgemeine Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen seitens des Händlers, mitgeteilt. Dies ist unzureichend aus Sicht des Gerichts.

Darüber hinaus hat Amazon nun Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Unternehmen sieht sich in seiner prozessualen Waffengleichheit nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, weil es vor Erlass der einstweiligen Verfügung nicht angehört worden sei. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber befinden müssen, ob eine solche Anhörung in dem vorherigen einstweiligen Verfahren zwingend gewesen ist, um die marktbeherrschende Stellung unter dessen Ausnutzung festzustellen bzw. zu glauben.

Was bedeutet die Entscheidung für Händler:innen?

Amazon hat großes Interesse daran, dass nicht festgestellt wird, dass das Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Absatzmarkt besitzt, da dies sonst Begehrlichkeiten beim Bundeskartellamt weckt. Es könnte auf die Idee kommen, Amazon entsprechend einzustufen und daraus könnten sich Unterlassungen und Schadensersatzansprüche von Marktteilnehmenden ableiten. Sodann könnten Händler, die bei Amazon ihre Waren anbieten, diesen in Regress nehmen. Auch solche Sperrungen seitens Amazon können existenzbedrohend für die Händler:innen sein. Hieraus könnten sich bei rechtswidriger Sperrung der Konten und die damit verbundene Ausnutzung der bestehenden Marktmacht auch Schadensersatzansprüche ableiten. Den kartellgeschädigten Händer:innen könnten Schadensersatzansprüche vor dem Zivilgericht nach dem § 33 GWB zustehen. Diese können grundsätzlich von „jedermann“ geltend gemacht werden. Daher können auch Käufer:innen von Produkten, die nicht direkt oder indirekt Produkte von den Kartellanten bezogen haben, Schadenersatz geltend machen. Diese müssten jedoch selbst Kund:innen von dritten Unternehmen sein, die auf demselben Markt wie der Kartellant tätig ist.

Maßnahmen des Bundeskartellamtes

Darüber hinaus kann das Bundeskartellamt gem. § 81 GWB Verstöße als Ordnungswidrigkeiten verfolgen und ein Bußgeld verhängen. Dies ist meist vorgelagert aufgrund der besseren Informationslage des Bundeskartellamtes. Eine Besonderheit des Kartellprozesses ist die deutliche Beweiserleichterung durch das vorgelagerte Ordnungswidrigkeitenverfahren, da die Bußgeldentscheidung für das Zivilgericht bindend ist. Ferner erlangt der:die Kartellgeschädigte Zugang zu Beweismitteln, Informationen und Akten des vorangegangenen behördlichen Verfahren. Dies erhöht die Erfolgschancen bei der Durchsetzung des Schadensersatzanspruches. Folglich kann es sich unter Umständen lohnen, sich gegen den Marktriesen durchzusetzen.

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Avatar von Ann-Christin Huber
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