Was
war passiert?
Meine
Mandanten sind der Anmelder und ein Teilnehmer einer Versammlung des
Bündnisses „Essen stellt sich quer“, die im vergangenen Jahr in
Essen-Steele stattfand und sich gegen den Aufmarsch einer rechten
Gruppe richtete. Zwei Beamte der Essener Polizei fotografierten die
Versammlung fortwährend, vereinzelt wurden Bilder mit Texten bei
Twitter und Facebook weiterverbreitet. Bereits vor Ort beschweren
sich mehrere Teilnehmende über den Kameraeinsatz. Meine Mandanten
konnten sich später auf diesen Bildern erkennen.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen stellte auf die Klage meiner Mandanten fest, dass die Anfertigung der Bilder und auch die spätere Veröffentlichung rechtswidrig waren (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23.10.2018 – 14 K 3543/18). Es nahm einen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit an, der nicht gerechtfertigt sei. Das Besondere: Das Gericht war der Auffassung, dass es einer besonderen gesetzlichen Grundlage bedurft hätte, weil die Regelungen des Versammlungsgesetzes, das einen Kameraeinsatz nur bei einer Gefahrenlage zulässt, abschließend sei.
Was
sagt das Oberverwaltungsgericht?
Der
15. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat sich der Rechtsauffassung
der ersten Instanz angeschlossen. Polizeiliche Foto- und
Videoaufnahmen von Versammlungen seien grundsätzlich geeignet,
einschüchternd, abschreckend oder in sonstiger Weise
verhaltenslenkend auf die Teilnehmer einer Versammlung zu wirken. Das
gelte auch für Aufnahmen, die erklärtermaßen für die
Öffentlichkeitsarbeit der Polizei Verwendung finden sollen. Daher
brauche es eine gesetzliche Grundlage, an der es vorliegend aber
fehle.
Bewertung der Entscheidung
Die
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist wichtig, weil sie
aufzeigt, dass jeglicher Einsatz von Kameras durch die Polizei eine
Einschränkung der Versammlungsfreiheit darstellt. Auch wenn Bilder
nur für die Öffentlichkeitsarbeit angefertigt werden, kann dies
eine abschreckende Wirkung haben. Denn Teilnehmende können nicht
erkennen, wofür Fotos verwendet werden.
Anders
als Einzelpersonen oder die Presse ist die Polizei an Grundrechte
gebunden. Eine „zeitgemäße Öffentlichkeitsarbeit“ muss sich
dem Grundgesetz anpassen und nicht umgekehrt. Es ist richtig, dass
die Richter dem Handeln der Beamten enge Grenzen gesetzt haben. Fotos
sind heute auch dann problematisch, wenn es sich um
Übersichtsaufnahmen handelt. Denn angesichts der heutigen
technischen Möglichkeiten, ist ein Ranzoomen einzelner Personen in
der Regel kein Problem – und damit auch eine Erfassung, wer an
Versammlungen teilnimmt. Der Befürchtung, dass der Staat eine
Versammlung systematisch überwacht, soll bereits im Ansatz begegnet
werden.
Das
Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig. Das
Oberverwaltungsgericht hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht
zugelassen. Eine weitere Runde in Leipzig ist also zu erwarten.
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