Verdachtsberichterstattung mit Namen und Foto: Was ist erlaubt?

„Hilfe, das bin ja ich!“ Wenn Ihr Name oder ihr Bild in der Presse im Zusammenhang mit möglichen Straftaten genannt wird, stellen sich plötzlich viele Fragen: Darf ich persönlich genannt werden? Hätte ich nicht vorab zu dem Vorwurf befragt werden müssen? Was kann ich tun? In diesem Beitrag beantworten wird diese Fragen und erklären, in welchen Fällen Sie sich zur Wehr setzen können.

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Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Dürfen Medien über einen Verdacht berichten?

Ja, aber nur in Grenzen. Zunächst einmal gilt: Das Recht zur Verdachtsberichterstattung ist eine besondere Ausprägung der Pressefreiheit. Missstände und individuelle Verfehlungen aufzudecken gehört traditionell zu den Kernaufgaben des Journalismus.

In bestimmten Fällen zählt hierzu auch die Berichterstattung über den Verdacht gegen konkrete Personen, wenn ein öffentliches Interesse daran besteht. Dies wird im Presserecht als Verdachtsberichterstattung bezeichnet.

Allerdings greift entsprechende Berichterstattung massiv in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein. Schon der bloße Verdacht einer Straftat oder eines anderen individuellen Fehlverhaltens kann zu enormen Konsequenzen im beruflichen und privaten Bereich führen. Vor allem lässt sich der einmal angerichtete Schaden später nicht mehr vollständig beheben, wenn der Verdacht falsch war.

Die Gerichte haben deshalb strenge Anforderungen entwickelt, an die sich Presse und Medien bei der Verdachtsberichterstattung halten müssen.

Verdachtsberichterstattung: Strenge Anforderungen auch für Blogs

„Presse“ bzw. „Medien“ sind nicht nur Radio, Fernsehen oder Tages- und Wochenzeitungen. Wer im Internet „journalistisch-redaktionell“ gestaltete Angebote verbreitet, muss nach § 19 des Medienstaatsvertrags (MStV) besondere Sorgfaltspflichten einhalten. Auch privat betriebene Blogs oder Social-Media-Kanäle können daher an die Anforderungen der Verdachtsberichterstattung gebunden sein.

Wann liegt eine „Verdachtsberichterstattung“ vor?

Unter „Verdachtsberichterstattung“ fallen vereinfacht gesagt alle Äußerungen, bei denen eine bestimmte Person verdächtigt wird, sich falsch verhalten zu haben. Das gilt vor allem bei einer Berichterstattung über Ermittlungsverfahren. Aber auch andere Vorgänge, die sich negativ auf den Betroffenen auswirken (z.B. über eine Affäre) können eine Verdachtsberichterstattung darstellen.

Beispiel: Die Behauptung, dass ein Politiker bei einem Wahlkampfauftritt am 01.01.2021 in der Stadt X die „Remigration aller in Deutschland lebenden Ausländer“gefordert hat ist einekonkrete Tatsachenbehauptung. Die Behauptung, dass er sich „schon öfter menschenfeindlich geäußert“ habe ist dagegennicht konkret genug und deshalb als reine Meinungsäußerung zu bewerten. Auch die Einschätzung dass er aufgrund seiner Aussage „nicht mehr wählbar“ sei, ist eine bloßesubjektive Meinungsäußerung und keine objektive Tatsachenbeghauptung.

Kennzeichnend ist, dass ein Verdacht formuliert wird. Es muss also um Vorgänge gehen, bei denen die Medien nicht sicher wissen (können), ob sie tatsächlich stattgefunden haben. Sie können es zwar auf Grundlage ihrer Recherchen vermuten und ggf. Belege anführen, da sie aber nicht dabei waren, kann es sich auch anders zugetragen haben.

Verdacht

[1] Annahme, Vermutung, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliege, ohne dass man es genau weiß

[2] Recht: vorläufige Annahme einer rechtswidrigen Handlung oder Unterlassung

Quelle: https://de.wiktionary.org/wiki/Verdacht

Vor dem Hintergrund, dass die Medien mit ihrem Verdacht auch falsch liegen können, ist auch zu verstehen, dass die Rechtsprechung an die Recherche besonders hohe Anforderungen stellt. Journalistinnen und Journalisten müssen sorgfältig arbeiten, denn nur dann ist sichergestellt, dass ausreichende Anhaltspunkte gegen die Betroffenen vorliegen.

Eine besondere Sorgfaltspflicht bei Verdachtsberichterstattungen besteht aber nur, wenn die folgenden drei Punkte vorliegen:

Identifizierbarkeit einer konkreten Person

Die Person, über die berichtet wird, ist nur dann in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen, wenn aus der Berichterstattung erkennbar ist, dass es um sie geht. Dafür muss sie nicht mit vollständigem Namen genannt oder auf einem Foto abgebildet werden.

Wenn Leser:innen aus der Berichterstattung auf eine bestimmte Person schließen können, kann eine Verdachtsberichterstattung vorliegen. Dabei genügt es, wenn der nähere Bekanntenkreis erkennen kann, wer gemeint ist. Mögliche Anhaltspunkte sind der Wohnort, das Alter oder der Beruf der verdächtigten Person.

Beispiel: Es wird berichtet, der Betreiber eine KfZ-Werkstatt in der Stadt X seine Kunden durch zu hohe Rechnungen betrügt. Gibt es in der Stadt X nur eine KfZ-Werkstatt, kann jeder, der über diese Information verfügt, den Betreiber identifizieren, auch ohne dass dessen Name genannt wird. Eine Identifizierbarkeit ist gegeben.

Wann sind Fotos anonyisiert?

Bei Fotos kann nicht nur eine Porträtaufnahme zur Identifizierbarkeit führen. Auch Bilder mit verpixeltem oder geschwärztem Gesicht sind nicht ausreichend unkenntlich gemacht, wenn charakteristische Merkmale wie Frisur, Bart, Tätowierungen, Körperbau oder Ähnliches sichtbar bleiben. Dies gilt vor allem, wenn im Text zusätzliche Angaben gemacht werden.

Bei Foto 1 von einer Identifzierbarkeit ausgehen. Der klassische „schwarze Balken“ ist nicht geeignet, eine Person zu anonymisieren. Bei Foto 2 ist die Identifzierbarkeit zwar nicht eindeutig gegeben, aber ggf. durch ergänzende Informationen möglich. Foto 3 ist hingegen vollständig anonymisiert.

Vorwurf konkreter Tatsachen

Ein Verdacht setzt den Vorwurf konkreter Tatsachen voraus.

  • Tatsachen zeichnen sich dadurch aus, dass sie objektiv bewiesen werden können, beispielsweise durch Zeugen, Urkunden oder ein Sachverständigengutachten.
  • Meinungsäußerungen sind demgegenüber subjektive Wertungen darstellen und dem Beweis nicht zugänglich sind.

Wird also konkret berichtet, dass X etwas getan hat, liegt eine Tatsachenbehauptung vor. Bestreitet der Betroffene den Vorwurf, handelt es sich um eine Verdachtsberichterstattung.

Bewertet ein Medium aber lediglich einen Vorgang, der als solcher nicht streitig ist, liegt eine Meinungsäußerung und nicht um Verdachtsberichterstattung.

Wertungen sind geschützt

Meinungsäußerungen sind durch Art. 5 Abs 1 GG geschützt und in der Regel auch dann erlaubt, wenn sie eine negative Wertung über eine konkrete Person enthalten. Eine Grenze bildet aber die sogenannte „Schmähkritik“. Sie liegt vor, wenn es erkennbar nicht mehr um eine Sachauseinandersetzung geht, sondern alleine um die Herabwürdigung der betroffenen Person.

Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsachen unklar

Nach § 186 StGB ist es grundsätzlich strafbar, Tatsachen über eine andere Person zu behaupten, die diese in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen können. Das Recht zur Verdachtsberichterstattung macht eine Ausnahme hievorn, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des [Bundesgerichtshofs] und des [Bundesverfassungsgerichts] darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf.

BGH, Urteil vom 15.06.2023 – III ZR 178/22

Keine Verdachtsberichterstattung liegt deshalb vor, wenn zum Zeitpunkt der Äußerung bereits unzweifelhaft feststeht dass der Verdacht (nicht) zutrifft.

Nach § 190 StGB gilt die Behauptung als wahr, wenn der Verdächtigte rechtskräftig verurteilt wurde. Im Umkehrschluss gilt sie als unwahr, wenn ein rechtskräftiger Freispruch erfolgt ist.

Im Einzelfall kann es hier aber auf Details wie den Grund des Freispruchs ankommen. Eventuell ist es auch zulässig, über neue Verdachtsmomente zu berichten, die erst nachträglich bekannt werden. Ein erneutes Strafverfahren ist dann wegen dem Doppelbestrafungsverbot ausgeschlossen, die Presse wird dadurch aber nicht gebunden.

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Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung

Verdachtsberichterstattung ist nicht dasselbe wie das bloße (Weiter-)Verbreiten von Gerüchten. Die Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen an die Recherche und die Form der Veröffentlichung. Außerdem muss immer ein ausreichendes öffentliches Interesse vorliegen. Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, ist die Verdachtsberichterstattung unzulässig und kann gerichtlich untersagt werden.

Öffentliches Interesse

Verdachtsberichterstattung ist nur dann zulässig, wenn ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht. Hier muss streng zwischen dem Interesse an der Berichterstattung über die Tat an sich und an der Identifizierung des vermeintlichen Täters unterschieden werden.

Über eine Tat darf grundsätzlich auch dann berichtet werden, wenn kein besonders öffentliches Interesse besteht. Die Hürde für die Identifizierung des vermeintlichen Täters liegt deutlich höher. Sie kommt nur infrage, wenn sich das berechtigte öffentliche Interesse sowohl auf die möglichen Tat an sich, als auch auf die Kenntnis des Täters bezieht.

Beispiel: Es besteht der Verdacht, dass eine Personin der Düsseldorfer Innenstadt am 01.01.2021 mit einem Messer auf eine andere Person eingestochen hat und diese dabei gestorben ist. Über diesen Verdacht darf ohne weiteres Berichtet werden, solange der mögliche Täter nicht genannt wird. Da der Fall im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit steht, liegt grundsätzlich auch ein öffentliches Interesse vor. Ist der Verdächtige eine Privatperson, reicht dieses Interesse aber grundsätzlich nicht aus, um auch die Nennung seines Namens zu rechtfertigen. Ginge es dagegen um den Oberbürgermeister der Stadt, könnte durchaus ein ausreichendes öffentliches Interesse an der Namensnennung vorliegen, insbesondere wenn das Opfer ein politischer Rivale ist.

Als Faustregel gilt, dass das berechtigte öffentliche Interesse umso größer sein muss, je stärker der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ausfällt. Reine Neugierde und Sensationslust begründet ein berechtigtes öffentliches Interesse aber nicht. Bei schweren Straftaten ist zu beachten, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht zwar sehr schwer ausfällt, dafür aber auch das öffentliche Interesse hoch ist.

Fotos von Verdächtigen

Die Verwendung von Bildern der verdächtigten Person richtet sich nach dem Kunsturhebergesetz (KUG). Nach § 22 KUG ist grundsätzlich die Einwilligung des Abgebildeten erforderlich. Eine Ausnahme gilt nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für „Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte“. Nach der Rechtsprechung ist die Veröffentlichung eines Bildes im Rahmen der Verdachtsberichterstattung nur zulässig wenn ein „qualifiziertes öffentliches Interesse“ vorliegt. Die Anforderungen sind also noch höher, als bei der bloßen Namensnennung.

Mindestbestand an Beweistatsachen

Eine Verdachtsberichterstattung braucht Fakten. Die Medien müssen sie vor der Veröffentlichung recherchieren, beispielsweise durch Zeugenaussagen oder aussagekräftige Unterlagen. Verdachtsmomente müssen dabei so weit wie möglich aufgeklärt werden.

Die Anforderungen sind umso strenger, je schwerwiegender der Verdacht ist, über den Berichtet wird. Der Rechercheaufwand muss deshalb bei einem Mordverdacht wesentlich umfassender sein als etwa bei einer Beleidigung.

Beispiel: Die Verdachtsberichterstattung einer großen Tageszeitung über den möglichen sexuellen Missbrauch einer jungen Frau durch einen bekannten Musiker kann nicht alleine auf die Aussage der Frau gestützt werden, wenn diese selbst erklärt, dass sie keine genauen Erinnerungen an den Vorfall hat. Hier müssten weitere Tatsachen ermittelt werden, die den Verdacht stützen.

Allerdings nimmt die Rechtsprechung auch Rücksicht darauf, dass etwa Blogger:innen die privat tätig werden, nicht denselben Rechercheaufwand leisten können wie die Investigativteams großer Leitmedien. Die Rechtsprechung geht deshalb von einem „gleitenden Sorgfaltsmaßstab“ aus, der sich an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientiert. Grundsätzlich wird nicht mehr gefordert, als auch geleistet werden kann.

Gelegenheit zur Stellungnahme

Bevor eine Veröffentlichung erfolgt, muss der verdächtigten Person die Möglichkeit gegeben werden, eine Stellungnahme abzugeben.

Gelegenheit zur Stellungnahme vs. Stellungnahme abgeben

Wer um Stellungnahme gebeten wird, sollte sich vorab gut überlegen, ob es wirklich eine gute Idee ist, etwas zum Vorwurf zu sagen. Unbedachte Äußerungen können fatale Folgen haben. Wir empfehlen daher, sich fachkundig beraten zu lassen, bevor entschieden wird, ob eine Antwort erfolgen soll.

Die verdächtigte Person muss schriftlich mit dem Kern der Vorwürfe und den wesentlichen Tatsachen konfrontiert werden. Die Vorwürfe müssen dabei so konkret benannt werden, dass die verdächtige Person sich auch konkret damit auseinandersetzen kann.

Beispiel: Nicht ausreichend wäre es, einen Politiker pauschal mit dem Vorwurf zu konfrontieren, dass er sich in seiner Laufbahn unanständig gegenüber seinen Angestellten verhalten hat, wenn zu einem konkreten Ereignis recherchiert wird. Vielmehr müsste das konkrete Ereignis auch benannt werden. Andernfalls ist keine fundierte Stellungnahme möglich.

Privatpersonen sollte eine Frist von sieben Tagen für eine Stellungnahme gesetzt werden, um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen abzugeben. Bei Unternehmen ist grundsätzlich auch eine wesentlich kürzere Frist zulässig.

Betroffenen steht es offen ob sie sich überhaupt äußern und in welchem Umfang. Auch wenn Journalist:innen einen langen Fragenkatalog schicken, muss dieser in der Stellungnahme nicht abgearbeitet werden.

Wie mit Medienanfragen umgehen?

Für Medien ist es oft vorteilhaft, in der Konfrontation möglichst wenig preiszugeben und viele Fragen zu stellen, um die verdächtigte Person „auszuforschen“ – umgekehrt müssen Betroffene überlegen, ob und welche Antworten sinnvoll sind. Zudem werden oft kurze Fristen gesetzt, damit Betroffenen wenig Zeit bleibt, sich beraten zu lassen und vorab gegen die Veröffentlichung vorzugehen.

Wird eine Stellungnahme abgegeben, so muss diese in der weiteren Recherche und in der Berichterstattung berücksichtigt werden. Erklärt ein Verdächtiger plausibel, warum ein bestimmter Vorwurf nicht zutreffen kann, so muss die Presse vor der Veröffentlichung ggf. weiter recherchieren.

Der wesentliche Kern der Stellungnahme muss später in der Veröffentlichung genannt werden. Wird aus der Stellungnahme zitiert, darf der Sinn des Zitats nicht entstellt werden.

Keine Vorverurteilung

Bei der Berichterstattung ist darauf zu achten, dass der Vorwurf als offen dargestellt wird. Die Unschuldsvermutung gilt zwar unmittelbar nur im Strafprozess, wegen der massiven Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss sie aber auch bei der Verdachtsberichterstattung berücksichtigt werden – jedenfalls während eines noch laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens.

Deshalb muss durch die Formulierungen deutlich werden, wenn bestimmte Tatsachen nicht vollständig aufgeklärt werden konnten. Außerdem müssen auch entlastende Umstände vorgetragen werden, die im Rahmen der Recherche offengelegt wurden.

Beispiel: Ein Presseartikel ist überschrieben mit „Prominenter Schläger: Der Boxer XY misshandelt seine Hausangestellten“. In diesem Fall entsteht eine klare Vorverurteilung auch wenn im nachfolgenden Text offengelegt wird, dass es nur um den Vorwurf einer einzelnen Person geht und andere Personen dem widersprochen haben.

Checkliste: Verdachtsberichterstattung

  1. Besteht ein öffentliches Interesse?

    Das geltend gemachte Interesse muss ein gewisses Gewicht haben. Ein privater Vorgang genügt in der Regel nicht.

  2. Liegt ein Mindestbestand an Beweistatsachen vor?

    Es braucht belastbare Anhaltspunkte, dass der Verdacht zutrifft. Die Medien müssen diese vor der Veröffentlichung recherchieren.

  3. Wurde sorgfältig recherchiert?

    Die Medien müssen naheliegende Erkenntnisquellen ausschöpfen, vor allem müssen sie den Betroffenen die Gelegenheit geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

  4. Entsteht der Eindruck einer Vorverurteilung?

    Eine Berichterstattung muss nicht neutral sein, sie muss den Vorgang aber als offen kennzeichnen. Eine Vorverurteilung ist unzulässig.

Was tun bei unzulässiger Verdachtsberichterstattung?

Was gerade am Wichtigsten ist, hängt immer davon ab, in welchem Stadium man sich gerade befindet. Hier sind im groben drei Stufen zu unterscheiden:

  • Die Handlungsmöglichkeiten vor der Veröffentlichung,
  • die unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung,
  • die langfristige Verfolgung der eigenen Rechte.

Vor der Veröffentlichung: Eigene Einflussmöglichkeiten nutzen

Oftmals erfahren Betroffene erstmals von einer bevorstehenden Verdachtsberichterstattung, wenn sie von der Presse zu einer Stellungnahme aufgefordert werden. Die Zeit für eine mögliche Reaktion kann dann sehr knapp sein. Primäres Ziel ist es deshalb „vor die Lage“ zu kommen und möglichst schnell (aber zugleich überlegt und präzise) aktiv zu werden.

Je nach Betätigungsfeld und finanziellen Möglichkeiten kann es deshalb sinnvoll sein, schon Kontakt zu erfahrenen Medienanwält:innen aufzubauen, bevor das „Kind in den Brunnen gefallen“ ist. Dann kann im Ernstfall schneller reagiert werden – auch an Wochenenden oder Feiertagen.

Liegt eine Aufforderung zur Stellungnahme vor ist natürlich die erste Frage, ob und in welchem Umfang Fragen beantwortet werden. Es lohnt sich immer eindeutig falsche Tatsachenbehauptungen zu entkräfte. Unter Umständen kann es auch sinnvoll sein, der Presse Zugriff auf eigene Informationen zu gewähren, um den Gesamteindruck zu verändern. Gleichzeitig sollt aber vermieden werden, weiteres belastendes Material zu liefern. Da es hier auf kleine Details ankommen kann, sollte die Stellungnahme, wenn möglich, durch eine anwaltliche Vertretung mit Erfahrung im Umgang mit Medien abgegeben werden.

Parallel können auch weitere Wege beschritten werden. Je nach Situation kann es sinnvoll sein, exklusive Informationen an andere Medien „durchzustechen“ damit es zu parallelen Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln kommt. Außerdem kann versucht werden, der Berichterstattung durch eigene Kommunikationskanäle zuvorzukommen.

Fehler können passieren – je nach Vorwurf kann es sinnvoll sein, eigenes Fehlverhalten öffentlich einzuräumen, zu reflektieren und (soweit möglich) Wiedergutmachung zu leisten. Optimalerweise sollte dies aber lange vor einer anstehenden Berichterstattung passieren, da andernfalls (nicht zu Unrecht) Zweifel an der Ernsthaftigkeit entstehen.

Die schärfste Handlungsoption besteht darin, die Veröffentlichung der Berichterstattung im Wege einer einstweiligen Verfügung durch ein Gericht präventiv untersagen zu lassen. Dieser Schritt ist allerdings meist schwierig, solange nur die Informationen aus der Aufforderung zur Stellungnahme vorliegen.

Spätestens hierfür ist auf jeden Fall eine anwaltliche Vertretung notwendig, da an den Landgerichten, die in der Regel sachlich zuständig sind, nach § 78 ZPO Anwaltszwang herrscht.

Unmittelbar danach: Abmahnung prüfen

Je länger die Berichterstattung öffentlich verbreitet werden kann, desto größer ist der Schaden. Deshalb hat es nach einer Veröffentlichung zunächst oberste Priorität, die weitere Verbreitung möglichst umfassend und schnell zu untersagen.

Der erste Schritt ist in der Regel eine anwaltliche Abmahnung, mit der die Presse zur Unterlassung und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert wird. Erfüllt sie diese Aufforderung, ist die Sache zunächst erledigt. Wird die Berichterstattung trotz der Unterlassungserklärung weiterverbreitet, wird eine Strafe fällig.

Wird die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert, müssen ihre Rechte gerichtlich durchgesetzt werden. Da bis zu einem endgültigen Urteil mehrere Monate bis hin zu Jahren vergehen können, wird zunächst eine einstweilige Verfügung beantragt. In einem solchen Eilverfahren kann den Medien untersagt werden, die Berichterstattung weiterzuverbreiten, bis ein endgültiges Urteil vorliegt.

Wird ein entsprechender Antrag gestellt, prüfen die Gerichte ob eine Persönlichkeitsrechtverletzung plausibel erscheint und vor allem, ob eine besondere „Dringlichkeit“ vorliegt, die eine einstweilige Verfügung rechtfertigt. Entscheidend ist, dass der Antrag zügig gestellt wird – bei Privatpersonen spätestens innerhalb von einem Monat ab dem Bekanntwerden der Berichterstattung.

Lässt man sich mit dem Antrag zu viel Zeit, ist für das Gericht verständlicherweise nicht mehr nachvollziehbar, warum die Sache (noch) besonders dringlich sein soll und nicht einfach bis zum Urteil abgewartet werden kann.

Gegendarstellung eher nicht sinnvoll

Eine Gegendarstellung kann ein Mittel sein, um einen falschen Eindruck öffentlich zu korrigieren. Das Problem: Sie muss von den Betroffenen unterzeichnet werden, verbreitet also ggf. den Verdacht weiter. In der Regel wird dies nicht im Interesse der Betroffenen sein.

Später: Schadensersatz, Presserüge

Ist der Brand erst einmal gelöscht und eine einstweilige Verfügung erwirkt, nimmt der Zeitdruck ab und es können in Ruhe weitere Schritte geplant werden.

Vor den Zivilgerichten kann neben dem Unterlassungsanspruch möglicherweise auch ein Anspruch auf Schadensersatz geltend gemacht werden. Sind durch eine unzulässige Verdachtsberichterstattung konkrete wirtschaftliche Schäden entstanden, müssen diese ersetzt werden. Auch die eigenen Anwaltskosten können im Erfolgsfall von der Gegenseite zurückverlangt werden. Ein Schmerzensgeld wird dagegen nur bei „schwersten Ehrverletzungen“ mit krassen Auswirkungen fällig.

Darüber hinaus gibt es verschiedene Aufsichtsstellen für Medien und Presse, bei denen eine Beschwerde wegen der Verletzung journalistischer Sorgfaltspflichten oder Programmgrundsätze eingereicht werden kann. Diese Beschwerden sind kostenlos, die Rügen, die eventuell ausgesprochen werden sind aber eher von symbolischer Bedeutung. Bei unzulässiger Verdachtsberichterstattung in Printmedien und den dazugehörigen Online-Kanälen kann eine Beschwerde beim Deutschen Presserat erhoben werden. Für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sind die Aufsichtsgremien der jeweiligen Rundfunkanstalt (ARD oder ZDF) zuständig. Für den Privatrundfunk und private Online-Medienangebote sind die Landesmedienanstalten zuständig.

In besonders drastischen Fällen rechtswidriger Verdachtsberichterstattung kann zudem eine Strafanzeige gegen Journalist:innen in Betracht kommen, etwa wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB). Dies sollte aber die absolute Ausnahme sein.

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Dieser Beitrag wurde maßgeblich von Rechtsreferendar Sascha Wolf erarbeitet.

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